Ein Besuch in Waidhofen an der Thaya

Entlang der Thaya, gut behütet durch eine mehr als 700 Jahre alte Stadtmauer, stößt man auf die nördlichste Bezirkshauptstadt Österreichs. Ein Ort, in dem das historische Stadtbild mit dem jungen Geist in Einklang ist.

Erzählt von Rhea Temper

Von der Ferne ist es die barocke Pfarrkirche, die erste Blicke auf sich zieht. Errichtet am höchsten Punkt der Stadt, sticht sie noch vor allem anderen ins Auge. Doch kommt man dem Stadtzentrum erst einmal näher, merkt man rasch, wie viel Sehenswertes die Kirche umgibt. Geschichtsträchtige Häuser reihen sich in der Form eines Dreiecks entlang des Stadtkerns aneinander. Die Mitte des Platzes ziert das beinahe 500 Jahre alte Rathaus, das einst als Schüttkasten, Lagerstätte für das Salzamt und vermutlich auch als lutherische Kirche gedient haben soll.

Foto: Fotolia/Arnoldo96

Doch die Stadt selbst ist noch um vieles älter als das Verwaltungszentrum. Urkundlich wurde Waidhofen an der Thaya bereits im Jahr 1171 – also vor beinahe 850 Jahren – erstmals erwähnt. Gemeinsam mit den nahegelegenen Städten Weitra, Litschau und Drosendorf ist die Stadt früher Teil der Verteidigungslinie gegen das Königreich Böhmen gewesen. „Zu dieser Zeit, rund um 1250 wurde auch die Waidhofner Stadtmauer zum Schutz vor Angreifern gebaut“, weiß Stadtchronist Mag. Dr. Erwin Pöppl. Im 12. und 13. Jahrhundert ist die Grenze zwischen Österreich und Böhmen noch nicht genau fixiert. Daraus ergeben sich immer wieder Grenzstreitigkeiten. Die heutige Grenze zur Tschechischen Republik wird im Wesentlichen bereits im Jahr 1179 durch Kaiser Friedrich „Barbarossa“ auf dem Reichstag von Eger festgelegt. Die geografische Lage im Norden bringt in den Hussitenkriegen und im Dreißigjährigen Krieg immer wieder Not und Leid über Waidhofen/Thaya – doch eingenommen wird die Stadt beinahe nie.

Jahrhunderte später, im Jahr 1873, fällt die Stadt einem tobenden Feuer zum Opfer. „Der Sommer im Jahr 1873 dürfte sehr trocken gewesen sein. Durch das Auskochen von Schmalz in einem Gasthof ist ein verheerender Brand ausgebrochen. Schlussendlich wurden große Teile der Stadt eingeäschert und mussten später wieder aufgebaut werden,“ erzählt Mag. Dr. Erwin Pöppl.

Die Stadt weiß vieles über vergangene Tage zu berichten, sammelt sie doch bereits seit vielen Jahrhunderten ihre Geschichten. Zugleich aber weht ein frischer Wind durch die Gassen Waidhofens.

Junger Geist in alter Mauer

Die Kombination von Altem und Neuem ist in vielen Ecken der Stadt spürbar, besonders aber im hippen Friseurladen Style Lounge. „Meine Kunden blicken während des Stylings direkt auf die historische Stadtmauer,“ erzählt die junge Inhaberin Michaela Köck. Durch Zufall landete sie vor einigen Jahren in der kleinen Betriebsstätte am Hauptplatz und verliebte sich auf Anhieb in die spezielle Atmosphäre. Noch in derselben Nacht beschloss sie den Schritt in die Selbstständigkeit und bereut diesen bis heute nicht: „Es läuft wirklich gut. Seit zwei Jahren betreiben wir auch den ersten Barbershop des Waldviertels. Mein Mann hat sich auf zweitem Bildungsweg ebenso für den Beruf des Friseurs bzw. Barbiers entschieden.“

Das spezielle Angebot lockt nicht nur Menschen aus der Gegend an – ein Stammkunde kommt zur Bartpflege sogar extra aus der Schweiz angereist. Mit im Familienbetrieb ist auch immer Söhnchen Noel, der schon als Baby den Laden aufmischt: „Ich mache meinen Job so gerne, ich wollte nicht aufhören. Darum hatten wir Noel oft am Rücken umgeschnallt. Während er schlief, haben wir so unsere Kunden betreut.“ Neben der familiären Stimmung und den speziellen Räumlichkeiten, ist es vor allem eines, das die Style Lounge ausmacht, erklärt Michaela Köck: „Bei mir geht nichts „gschwind“ – ich höre zu und nehme mir Zeit für meine Kunden.“


Auch für die Unternehmerin Eunike Grahofer, die sich ebenso entlang der zwei Kilometer langen Stadtmauer angesiedelt hat, ist Zeit ein wichtiges Stichwort. In ihrem kleinen Naturladen teilt sie ihr umfassendes Wissen über Pflanzen und Kräuter mit ihren Kunden und berät bei unterschiedlichen Anliegen. Ihre Leidenschaft für Pflanzen begleitet die Naturpädagogin schon ihr Leben lang: „Ich komme aus einer sehr naturverbundenen Familie. Zusätzlich interviewe ich seit vielen Jahren ältere Personen.“ Ihren Erfahrungsschatz schreibt sie in Büchern nieder.

Neben vielen kleinen Geschäften wie diesen entlang der Stadtmauer, laden auch einige Gastronomiebetriebe zum Verweilen ein. Stephan Kainz ist Inhaber des beliebten Lokals „Tell“, das seit mehr als 20 Jahren die Waidhofner Szene dominiert: „Das Personal ist das Lokal. Dass sich im Tell von Jung bis Alt und von Früh bis Spät alle Gäste wohlfühlen, ist vor allem den Mitarbeitern in Küche und Service zuzuschreiben.“ Genauso wohl scheinen sich die Waidhofner im „Foggy Mix“ zu fühlen, das etwas vom Stadtkern entfernt liegt, aber stets bestens besucht ist.

Schätze aus dem Norden

Wie Naturpädagogin Eunike Grahofer zählt auch Familie Ackerl mit ihrer Bio-Landwirtschaft auf die Schätze der Natur. Seit dem Jahr 2009 erzeugt die Familie den Waldviertler Vodka „nørderd“ — die Rohstoffe Erdäpfel, Roggen und Äpfel stammen direkt aus dem Bezirk. „Wir freuen uns darüber, wie sich das Waldviertel anfühlt, wie es schmeckt und riecht, wie es klingt und wo hier die Sonne auf- und untergeht. Das wissen und genießen wir, das bedeutet für uns Regionalität,“ so die Ackerls. Die Idee und der Wunsch, den Geist des Waldviertels in eine Flasche zu gießen, verwirklichte sich die Familie mit nørderd – aus dem Norden Österreichs und aus der Erde.

Der Rohstoff Erdäpfel wird aber in Waidhofen/Thaya auch für ein ähnlich unkonventionelles Produkt verwendet: Schokolade. In der Thayataler Schokoladen-Manufaktur des Konditormeisters Andreas Müssauer wird die handgeschöpfte Waidhofner Schokolade hergestellt – eine Verschmelzung der typischen Waldviertler Produkte Erdäpfel und Graumohn.

Einige dieser regionalen Schätze können mit dem Waidhofner Taler erworben werden. „Diese Einkaufsmünze ist ein Produkt, um die Kaufkraft an die Stadt zu binden,“ erklärt die Obfrau des Wirtschaftsverein ProWaidhofen, Ulrike Ramharter. Der Wert eines Talers beträgt 10 Euro und besonders gerne wird er rund um Weihnachten gekauft. Ulrike Ramharter übernahm mit bereits 24 Jahren das Textilgeschäft ihrer Eltern. Textileinzelhändler gibt es heute in der Stadt kaum mehr, die großen Ketten erschweren den inhabergeführten Läden das Überleben. „Wir versuchen, uns durch Beratung und Service abzuheben, nehmen uns Zeit und entwickeln immer wieder neue Leistungen, die wir unseren Kunden anbieten können. So planen wir, zukünftig vielleicht auch „private shopping“ anzubieten.“

Kunterbunte Kultur

Foto: zVg Privat

Doch nicht nur im Unternehmertum ist der junge und erfinderische Geist der Stadt spürbar. „Die Menschen hier wollen anpacken. Allen voran die Jugendlichen wollen etwas bewegen, wollen sich ihre Projekte und Angebote selbst schaffen und wollen zeigen, welche Fähigkeiten sie haben,“ erklärt Christoph Mayer. Gemeinsam mit seinem Team von „Balls & Beats“ konnte genau das in Waidhofen/Thaya umgesetzt werden.

Foto: zVg Privat

Seit 2011 initiiert der Verein ein Event der ganz besonderen Art: Die Elemente Sport, Musik, Unterhaltung und Kultur werden zweimal im Jahr zu einer stimmigen Veranstaltung kombiniert. „Unser Antrieb war von Beginn weg jener, die Region zu beleben, der Bevölkerung quer durch alle Altersschichten Abwechslung und sportliche Reize zu bieten und zu zeigen, welche Erfolge mit innovativen Ideen und harter Arbeit auch fernab von Ballungszentren möglich sind.“
Nach nun sechs erfolgreichen Jahren, engagieren sich mehr als 150 ehrenamtliche Mitarbeiter im Verein.

Kulturelle Perspektiven werden jungen Menschen auch im „TAM“ aufgezeigt. Das „Theater an der Mauer“ trägt seinen Namen nach der mittelalterlichen Stadtmauer, die gleichzeitig die Längswand des Theatersaals bildet. Gezeigt werden im nördlichsten Theater Österreichs Eigenproduktionen, sowie Gastspiele mit professionellen Künstlern aus dem In- und Ausland. Das Besondere am „TAM“: Die Nachwuchsschauspieler werden hier bereits ab einem Alter von sieben Jahren professionell theaterpädagogisch ausgebildet. Die heranwachsenden Jugendlichen werden dann systematisch in das Ensemble integriert und wirken bei diversen Produktionen mit. „Eine kleine Träne — auch der Freude — verdrücke ich, wenn sie — so richtig gut geworden —in den professionellen Bereich wechseln, denn dann müssen sie hinaus in die große Theaterwelt, da wir leider nicht in der Lage sind, Gagen zu bezahlen. Im Fußball würde man sagen, wir sind auch ein Ausbildungsverein,“ so „TAM“-Prinzipal Mag. Ewald Polacek, der das Theater im Jahr 1995 in Eigeninitiative gründete.

Neben „Balls & Beats“ und dem „TAM“ hat auch das „Internationale Musikfest“ sein Erfolgsrezept gefunden: Gute Musik in Kombination mit einem wunderschönen Gelände und entspannter Atmosphäre. An drei Tagen kann man hier die Welt hinter sich lassen, eintauchen in ein vielseitiges Musikprogramm, das von Jazz, Folk und World-Musik bis zum Singer-Songwriter-Genre und Indie-Pop reicht. Alles, was man braucht, ist da: Campingplatz an der Thaya, ein abwechslungsreiches Programm und ein umfangreiches kulinarisches Angebot.

Städtisches Leben inmitten der Natur

Mit seinem belebten Stadtkern und seinem außergewöhnlichen Kulturangebot, vermittelt Waidhofen an der Thaya ein urbanes Lebensgefühl. Dabei könnte man beinahe vergessen, welche Naturschätze hinter der alten Stadtmauer liegen. So bahnt sich die mehr als 230 Kilometer lange Thaya ihren Weg durch die Stadt. Beliebt ist der mystisch wirkende Fluss nicht nur bei Spaziergängern und Fischern — an einigen Stellen lädt die Thaya auch zur Abkühlung ein.

Namensgeber ist der Fluss auch für den grenzüberschreitenden Radweg Thayarunde, der mit einer Länge von rund 111 Kilometern teilweise auf den ehemaligen Bahntrassen der Thayatal-Bahn und der Göpfritz-Raabs-Bahn verläuft. Die Thayarunde verbindet Göpfritz und Waidhofen/Thaya, aber auch Orte in der tschechischen Republik. Ein Abstecher mit dem Fahrrad empfiehlt sich auch zur Großen Basilika — einem mythischen Kraftplatz aus Findlingen, der am Rand der Stadt liegt.

Doch auch mitten in der Stadt ist Natur zu finden: Seit 2013 ist Waidhofen Heimat des vom Aussterben bedrohten Waldrapps. In der größten Waldrapp-Voliere der Welt finden derzeit 52 Vögel ihr Zuhause. Kommt man dem Gehege näher, begrüßen die Vögel freundlich mit dem Laut „Chrup“.

Die Vielfältigkeit der Stadt bringt die gebürtige Waidhofnerin Eunike Grahofer perfekt auf den Punkt: „Waidhofen ist für mich Ruhe. Ich kann hier eine Stunde lang gehen, ohne jemanden zu sehen. Wenn ich aber jemanden treffen möchte, weiß ich genau, wohin ich gehen muss.“

Das Besondere

In Waidhofen an der Thaya werden die Dinge, die immer schon da gewesen sind, eingebunden: Sei es die alte Stadtmauer, die heute Stützpunkt zahlreicher Unternehmer ist oder sei es die Thaya, die den perfekten Rahmen für Kulturveranstaltungen bietet. Genauso aber sind es die Rohstoffe der Region, die für neue innovative, aber auch altbewährte Produkte verwendet werden. Hier gilt nicht „Aus alt mach neu“ — hier gilt „Aus alt mach anders“. Möglich macht das der junge Geist der Menschen, die in dieser alten Stadt leben.

Wald4tlerin: Ausgabe: 02/17
Das könnte dir auch gefallen

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.