Zu Gast in Gmünd

Auf der Suche nach dem Besonderen, dem „gewissen Etwas“ landen wir am Gmünder Stadtplatz.

Inmitten der historischen Häuser empfängt uns eine ganz spezielle Atmosphäre. Diese ist nicht zuletzt auf die Menschen hier zurückzuführen.

Erzählt von Rhea Temper

 

Es ist ein Miteinander, das in Gmünd herrscht. Das verrät uns Ingrid Hubmayer, die bereits seit den 1970er Jahren ein Haus im Zentrum bewohnt. Große Teile ihres Anwesens nutzt sie seit beinahe drei Jahrzehnten für ihren Antiquitätenladen. Hier finden sich in erster Linie Raritäten aus der Region. Schätze, die Ingrid Hubmayer ausschließlich aus dem Verwandten- und Bekanntenkreis übernommen hat. „Ich kenne die Geschichte eines jeden Stücks“, erzählt uns die Händlerin stolz und deutet auf einen alten Schrank, der im Jahr 1858 als Brautgeschenk gedient hat. Doch nicht nur der Laden von Ingrid Hubmayer ist reich an Schätzen und Geschichte. Die ganze Stadt ist voll davon.

In jedem Stadtwinkel ein Geheimnis

Die Geschichte Gmünds beginnt bereits im 12. Jahrhundert als man am Zusammenfluss (Gemünd) von Lainsitz und Braunau eine Stadt errichtet. Bis heute ist diese im Kern erhalten geblieben und macht den Reiz der Altstadt aus. Besonders ereignisreich wird es in Gmünd ab dem Jahr 1870, erklärt Stadthistoriker Harald Winkler: „Mit der Errichtung der Franz-Josef-Bahn kam Gmünd mit den großen, weltgeschichtlichen Ereignissen in Berührung.“

Durch den Bahnanschluss erlebt die Stadt einen wirtschaftlichen Aufschwung, der die Einwohnerzahl in den Folgejahren von 600 auf 6.000 Bewohner wachsen lässt. „Gmünd erhielt im Jahr 1907 sogar den ersten elektrischen O-Bus Mitteleuropas, noch vor Wien, Paris oder London!“, ergänzt Harald Winkler. Auch das Haus von Frau Hubmayer trägt Spuren dieser Zeit – noch heute schmückt es ein O-Bus-Haltestellenschild.

Parallel zum Aufschwung prägen auch tragische Ereignisse die Geschichte der Grenzstadt. Während des Ersten Weltkriegs wird hier eines der größten Flüchtlingslager der Monarchie errichtet. Nicht weniger als 30.000 Flüchtlinge wurden hier untergebracht. Aus diesem Lager, das mit der notwendigen Infrastruktur ausgestattet wurde, entwickelt sich in den folgenden Jahren ein ganzer Stadtteil: Gmünd Neustadt oder wie die Einheimischen sagen: „Gmünd 2“.

Der Zweite Weltkrieg bringt weiteres Leid – 1.700 Budapester Juden kommen in einem Transportzug in die Stadt und werden in einem Getreidespeicher untergebracht, mehr als ein Drittel lässt dort sein Leben. Doch neben all den großen Ereignissen scheint eine Entwicklung besonders prägend gewesen zu sein: Die Grenzgeschichte.

Leben an und mit der Grenze

Als Gmünd im Jahr 1920 mit dem Friedensvertrag von St. Germain einen Großteil der Vororte an die damalige Tschechoslowakei verliert, wird die Stadt durchtrennt. Noch deutlicher soll dies durch den Eisernen Vorhang werden – die Stadt Gmünd wird zusammen mit dem europäischen Kontinent in zwei Hälften geteilt. „Hätte man damals einen Kreis rund um Gmünd ziehen wollen, so endete man eigentlich bei einem Halbkreis. Wir waren am Ende der freien Welt, nur ein paar hundert Meter weiter war der Ostblock“, erzählt Harald Winkler.

Auch die gebürtige Gmünderin Regina Bäuchl erinnert sich gut an ihre Kindheit, die durch die Grenze geprägt war: „Wir hatten Angst. Als Kind traute man sich kaum entlang der Grenze zu gehen.“ Ihre Schwiegermutter Karoline bestätigt diese Erinnerung und erzählt davon „sich erst gar nicht auf die andere Seite zu schauen getraut zu haben.“
Jahrzehntelang bleibt den Gmündern das Nachbarland, das einst Teil der eigenen Stadt war, verborgen. Fluchtversuche von der damaligen Tschechoslowakei in die „freie Welt“ enden oft tragisch. Als 1989 der Eiserne Vorhang fällt, sind die Gefühle dennoch gemischt. „Es hat lange gebraucht, bis wir zum ersten Mal rübergingen. Viele andere nutzten die offenen Grenzen aber recht schnell. Man hat sich umgeschaut“, erzählt Regina Bäuchl.
Heute, fast 30 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs überwiegt das Positive. „Bis 1989 gab es kaum Entwicklung und wenig Perspektiven. Jetzt profitieren beide Seiten auf mehreren Ebenen.“ Harald Winkler arbeitet eng mit den Kollegen aus der Nachbarstadt České Velenice zusammen und lobt die Entwicklung der Grenzregion: 1994 eröffnet in Gmünd Europas erster grenzüberschreitender Wirtschaftspark „ACCESS Industrial Parks“, seit 1991 besuchen tschechische Schüler das Schulzentrum, und im Jahr 2004 findet erstmals das größte grenzüberschreitende Kulturfest ÜBERGÄNGE PRECHODY statt.

Immer wieder wird die Stadt Gmünd aufgrund ihrer besonderen Grenzsituation Schauplatz von Erzählungen. Auch die Romane des Schriftstellers Thomas Sautner spielen zumeist hier. Sein neuester Roman „Das Mädchen an der Grenze“ spielt im Jahr 1989 und erzählt die Geschichte Malinas, Tochter eines Zöllners. „Das Mädchen an der Grenze“ ist vor allem ein Roman über den alten Traum grenzenlosen Menschseins. Dass heute reger Austausch und ein gutes Miteinander herrscht, bestätigt auch die junge Unternehmerin Katrin Pilz.

Spaziergang durch die Altstadt

„Wir haben einige Stammgäste aus dem Nachbarland. Die tschechischen Feiertage merken wir auch spürbar.“ Katrin Pilz übernimmt die familiengeführte Bäckerei und Konditorei mit nur 25 Jahren. Tradition hat im Betrieb einen hohen Stellenwert: So wird das Brot noch heute nach altüberliefertem Rezept gebacken.

Doch es ist nicht nur das Brot und Gebäck, das den Betrieb in der Region bekannt gemacht hat: „Seit Generationen backen wir den originalen Blockheide-Mohnzelten aus Erdäpfelteig.“ 2012 produzierte die Bäckerei sogar den größten Mohnzelten der Welt mit einem Durchmesser von 160 cm und 60 kg Gewicht.

Nur wenige Meter von der Bäckerei Pilz entfernt, ziert der Schriftzug „Hutmacher“ eines der Häuser. Das macht uns neugierig und wir betreten einen Laden, der mit einer gehörigen Portion Charme an längst vergessene Tage erinnert. „Meine Eltern übernahmen das Geschäft 1980, hier wird aber bereits seit 150 Jahren mit Hüten gehandelt.“

Die junge Inhaberin Elisabeth Fritz ist keine „Hutmacherin“, aber sie verkauft Modelle aus Österreich, Deutschland und Italien. Mehr als 400 sorgsam ausgewählte Kopfbedeckungen werden angeboten. „Hüte sind wieder voll im Trend. Das spüre ich auch.“

Dass der Kern der Stadt Gmünd sehr belebt ist, merken wir, als wir unseren Spaziergang durch die Altstadt fortsetzen. Leere Geschäftsräume sind hier kaum vorzufinden und dies begründet der Obmann des Wirtschaftsvereins, Josef Hag, so: „Gerade am Stadtplatz befinden sich sehr viele inhabergeführte Betriebe. Hier wird nicht nur gearbeitet, sondern auch gelebt. Die Unternehmer Gmünds sind sehr engagiert, wir alle ziehen an einem Strang. Nicht nur in der Altstadt – in ganz Gmünd ist das so. “

Unter die vielen kleinen Läden am Stadtplatz mischen sich auch zahlreiche Gastronomiebetriebe. Josef Hag betreibt hier das Stadtwirtshaus „Hopferl“, das nicht zuletzt für sein exklusives Gmünder Stadtbier bekannt ist. Gäste des „Wohnzimmer Gmünds“ schätzen die Verarbeitung hochwertiger, regionaler Produkte und die persönliche Note.

Doch nicht nur der zentrale Stadtplatz steckt voller Leben. In einer Gasse abseits des Zentrums versteckt sich ein weiteres charmantes Lokal. Ein Besuch im „Cello“ lohnt sich, das verspricht schon der Slogan „essen und trinken. feiern und palavern.“ Letzteres wird von Inhaber Johannes Laubenstein großgeschrieben: „Bei uns gibt es keine einsamen Gäste. Wenn jemand alleine kommt, wird er an die vollen Tische eingeladen.“ Die Speisen im „Cello“ wechseln immer wieder, passen sich an Saison und Nachfrage an. Wichtig ist, dass hier die Leute zusammenkommen. Und das passiert in dem fast 400 Jahre alten Haus schon immer: So war es einst Handelsstätte, Gewerbebetrieb und Bürgermeisterhaus.

Foto: Stadtgemeinde Gmünd

Mitten im Zentrum befindet sich auch der Schlosspark mit einer Vielfalt botanischer Raritäten und dem direkten Blick auf das Schloss Gmünd. Während sich das Schloss im Privatbesitz befindet, steht das Palmenhaus im Eigentum der Gemeinde. Das Bauwerk stellt mit seinen großen rundbogigen Fenstern ein in Niederösterreich einzigartiges Beispiel eines frühhistoristischen Gewächshauses dar und dient heute noch als Veranstaltungsstätte. Nur wenige Gehminuten entfernt, wird in der „Alten Huf- und Wagenschmiede“ das Handwerk der Schmiede an ausgewählten Terminen wiederbelebt. Unweit davon entfernt, im Alten Rathaus liegt das „Glas- und Steinmuseum“, welches sich mit den ehemals wichtigsten Wirtschaftszweigen der Region beschäftigt.

Rund um Gmünd

Doch nicht nur ein Besuch in der Gmünder Altstadt lohnt sich. Das bestätigen auch die Gmünderinnen Regina und Karoline Bäuchl: „Es ist schon eine schöne Gegend hier. Man ist schnell draußen, aber zugleich mitten in der Stadt.“ „Gleich draußen“ befindet sich der „Naturpark Blockheide“. Ein sagenumwobener Platz, der mit seinen naturgeformten Steinriesen und Wackelsteinen Gmünds erstes touristisches Zugpferd gewesen ist. Bewohner und Besucher genießen die mystische Stimmung inmitten der riesigen Granitblöcke, die allesamt wegen ihrer außergewöhnlichen Form sagenhafte Namen tragen. So finden sich in der Blockheide der „Fuchsstein“, das „Teufelsbett“ oder die „Koboldsteine“.

Seit 2006 ist ganz klar das „Sole-Felsen-Bad“ Gmünds stärkster Tourismusmagnet. Das Solewasser wirkt schmerzlindernd, entzündungshemmend und entspannend. Knapp 1.000 m² Wasserfläche und eine vielfältige Saunawelt stehen den Besuchern hier zur Verfügung.

Nachdem heute der Kreis um Gmünd über die Grenzen geschlossen werden kann, empfiehlt sich auch ein Blick nach Südböhmen. Historisch und architektonisch wertvolle Städte wie Budweis und Třeboň liegen weniger als eine Stunde entfernt und in eineinhalb Stunden kommt man sogar bis Český Krumlov oder an den Stausee Lipno. Auch ein Besuch in die benachbarten Städte Weitra und Schrems sowie in die Schwesterstadt České Velenice lohnt sich.

Lebens- und Arbeitsort

Trotz der hohen Lebensqualität blieb Gmünd nicht von der Landflucht verschont. Davon ist auch der Sohn von Regina und Enkel von Karoline Bäuchl betroffen. „Gmünd ist für mich der perfekte Ausgleich zum schnellen Leben in Wien.“ Ob der 27-jährige Thomas irgendwann ganz nach Gmünd zurückkommt, macht er von seinem beruflichen Werdegang abhängig. Fest steht aber, dass Gmünd ihm immer Heimat sein wird.

Neben Thomas sind es zahlreiche Pendler, die an den Wochenenden nach Hause kehren oder sogar tagtäglich von Gmünd nach Wien pendeln. Laut Statistik Austria dreht den Spieß aber manch einer um: So pendelten im Jahr 2014 rund 60 Wiener täglich zur Arbeitsstätte nach Gmünd. Das beweist, worauf Bürgermeisterin Helga Rosenmayer stolz ist: „Wir sind froh, dass zahlreiche große und innovative Betriebe und Unternehmen in Gmünd ihren Sitz haben.

Darüber hinaus sind auch eine Vielzahl kleinerer Betriebe das Aushängeschild für die Wirtschaft unserer Stadt.“ Als erste weibliche Bürgermeisterin der Stadt Gmünd, hält sie es „nicht unbedingt für eine große Besonderheit, dass eine Frau so ein Amt bekleidet. Denn die Herausforderungen und Aufgaben sind sowohl für Frauen als auch Männer dieselben.“ Gmünd scheint voller ambitionierter Frauen zu sein, wie auch Katrin Pilz und Elisabeth Fritz beweisen.

Das gewisse Etwas

Fragten wir uns zu Beginn unseres Besuchs nach dem Besonderen, dem gewissen Etwas der Stadt, so findet Schriftsteller Thomas Sautner die passende Antwort: „Freilich die Grenze, sie definierte die Stadt schon zu Zeiten des Eisernen Vorhangs. Damals hieß es, die Welt sei zu Ende hinter der Grenze. Den Tschechen wurde auf der anderen Seite dasselbe erzählt. Mittlerweile hat für alle, die dafür bereit waren, der Begriff Heimat eine Erweiterung erfahren. Für gewöhnlich funktioniert so etwas nur mittels Literatur oder Musik. In Gmünd und der Grenzregion kann es auch räumlich erlebt werden. Die Grenze teilt heute nicht mehr, sie eröffnet neue Möglichkeiten.“

Für uns ist es sogar noch ein Stück mehr: Es ist die Summe der Erinnerungen an die außergewöhnliche Geschichte und die Begegnungen mit einer Vielzahl liebenswerter Menschen, die Gmünd so besonders machen.

Waldviertlerin: Ausgabe: 01/17
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