Lisas Mühle

Bei einer Führung durch die Dyk-Mühle durchquert man verwinkelte Räume, steigt steile Holzstufen hinauf und hinunter, und trachtet danach, der Hausherrin dicht auf den Fersen zu bleiben, um nicht den richtigen Weg zu verpassen. Oder – noch schlimmer – einen Teil ihrer wunderbaren Geschichten.

ERZÄHLT VON RHEA TEMPER

 

Lisa Dyk führt die Mühle in fünfter Generation und kennt sie wie ihre eigene Westentasche. Nicht nur jeder Winkel ist ihr vertraut, auch all die alten Erzählungen kennt sie gut. So weiß sie zum Beispiel genau, wie es ihrem Vater gelang, als erster Müller Österreichs Vollkornmehl zu vermahlen.

Gut gelaunt und mit einem freundlichen Lächeln im Gesicht trifft man Lisa Dyk, dicht gefolgt von ihrem Hund Spookie, in der Mühle. Der Name des Hundes ist afrikanisch, der Familienname Dyk hingegen stammt ursprünglich aus Holland. Noch lange bevor die Familie in den Besitz der Raabser Mühle kam, baute sie Deiche in Holland und später in Tschechien. Lisa, die im Alter von 30 Jahren die Leitung des Betriebs übernahm, kennt den Familienstammbaum gut und schildert mit Begeisterung, wie aus holländischen Dammbauern Waldviertler Müller wurden.

Wie so oft, spielt die Liebe in den besten Geschichten eine tragende Rolle: „Mein Ururgroßvater, seines Zeichens Damm- und Wehranlagenbauer an Flüssen in Tschechien, verliebte sich in die schöne Tochter der Liebnitzmühle und heiratete sie. Weil er ein tüchtiger Mann war und Gefallen an der Arbeit als Müller fand, kaufte er später noch eine Mühle in Rehberg bei Krems und eine in Raabs an der Thaya. Meine Ururgroßeltern waren mit drei Söhnen gesegnet und so bekam jeder eines Tages eine Mühle vererbt. Und wie es nun mal ist, war unter den Brüdern ein Jäger, dem anderes wichtiger war, und der seine Mühle – nämlich jene nahe Krems – verlor. Auch der zweite machte einen Fehler: Er baute neben der Liebnitzmühle eine Brotbäckerei und das war strategisch nicht klug, denn er machte den Bäckern damit Konkurrenz, sodass diese infolge kein Mehl mehr bei ihm kauften. So verlor auch er seine Mühle. Da blieb nur noch einem Bruder eine Mühle, nämlich jene in Raabs.“

Mit einem Schmunzeln im Gesicht erzählt Lisa die Geschichte ihrer Vorfahren und dabei merkt man, wie stolz sie ist, dass es ihrem Urgroßvater als einzigem von drei Brüdern gelungen war, seine Erbe zu behalten. In der nächsten und damit dritten Generation bewirtschaftete Lisas Großvater die Dyk-Mühle, bevor er gemeinsam mit seinen Brüdern in den späten 1930er-Jahren in den Krieg ziehen musste.

In dieser dunklen Zeit war die Mühle zum Großteil stillgelegt, erst als Lisas Großonkel vom Krieg nach Hause kam, wurde die Mühle gemeinsam mit den Angestellten wieder in Betrieb genommen – man musste Mehl für die Besatzungsmacht erzeugen. Lisas Vater, Peter Dyk, der zu dieser Zeit noch ein Kind war, verbrachte die Kriegszeit an der Seite seiner Mutter und erlernte später neben dem Beruf des Müllers auch jenen des Maschinenbauers. Jahre später sollte sich diese Entscheidung als großes Glück herausstellen.

Österreichs erstes Vollkornmehl

„Mein Vater wollte nach seiner Ausbildung unbedingt weg, raus aus Österreich. Zuerst dachte er an Südamerika, später brachten ihn Freunde auf den Gedanken, nach Südafrika zu gehen. Um dort selbst für seinen Lebensunterhalt zu sorgen, inserierte er in einer englischen Müllerzeitung und bekam kurze Zeit darauf einen Job in einer südafrikanischen Mühle.

Er war geschickt, verdiente gutes Geld und wäre sicherlich noch länger geblieben, hätte ihn nicht eines Tages ein strenger Brief seines Vaters erreicht, in dem er ihn ersuchte, nach Hause zu kommen, um die Mühle zu übernehmen. Schweren Herzens trennte sich Peter Dyk von Südafrika, vor allem aber von einer Frau, die dort sein Herz erobert hatte.“ Es dauerte nur wenige Tage, noch während der Heimreise mit dem Schiff, da schrieb er seiner Herzensdame einen Brief, in dem er sie bat, nach Österreich zu kommen.

Ein Jahr später stand die Südafrikanerin Lydia in Raabs und erlebte zum ersten Mal einen kalten Winter mit Mengen an Schnee. Wenige Jahre später brachte sie Lisa zur Welt. Neben der Liebe seines Lebens nahm Peter Dyk aber noch etwas anderes mit nach Österreich: Die Gewissheit, dass kleine Mühlen kurz vor dem Aussterben standen und nur jene überlebten, die entweder zu Großbetrieben umfunktioniert wurden oder Nischenprodukte herstellten. Und weil er schon lange Mehl erzeugen wollte, das die Menschen nicht dick macht, beschloss er, Vollkorn zu vermahlen.

Damals gab es Vollkornmehl weder im Geschäft zu kaufen, noch wurde es für die Bäckereien hergestellt. Doch Vollkornmehl konnte nicht einfach so vermahlen werden, da zu dieser Zeit strenge Reglementierungen für alle Mühlen galten, und nur gewisse Mengen hergestellt werden durften, auch gab es fixe Mehl- und Getreidepreise. „Also ging mein Vater mit seiner Idee zum Lebensministerium und versuchte die Vorsitzenden bei einem Vorsprechen vom Bedarf nach Vollkornmehl zu überzeugen. Diese sahen rasch das Potential des gesünderen Mehls, und so erfolgte kurz darauf die Preisbestimmung.

„Die Nachfrage war von Beginn an da – sein erster Kunde war Meindl, der damals in den 1970ern noch aus einem großen Händlernetz bestand. Der Andrang war sogar so groß, dass mein Vater bald an seinen, beziehungsweise den durch die Reglementierung vorgegebenen, Grenzen angelangt war. Er hätte viel mehr verkaufen können, als er produzieren durfte.“

So begann Peter Dyk das Mühlengesetz genau zu studieren, um einen Weg zu finden, mehr Vollkornmehl vermahlen zu können.“ Und tatsächlich fand er ein Schlupfloch, erzählt Lisa weiter: „“Bacherlmühlen“ waren kleine Mühlen, zu denen die Bauern mit ihrem Getreide hingekommen sind, um es für den Eigenverbrauch vermahlen zu lassen. Als Bezahlung für den Müller gab es meist kein Geld, sondern kleine Restmengen des Mehls. Und genau diese waren unser Schlupfloch, denn jede Mühle durfte eine kleine Menge zusätzlich vermahlen, ohne dass es zum vorgegebenen Mehlkontingent zählte.“

Der findige Müller meldete daraufhin rund um Raabs zahlreiche zusätzliche Wirtschaftsstandorte an und baute in seiner Not etwas völlig Neues: eine transportable Mühle. „Zwei Tanks und das Mühlwerk waren auf einem Anhänger befestigt und damit fuhr mein Vater von einem Ort zum nächsten, um an jedem der Standorte exakt jene Menge Vollkorn zu vermahlen, die nicht zum Kontingent zählte.

Zwischen den verschiedenen Standorten wurde ein Stopp in der Dyk-Mühle eingelegt, um frisches Getreide zu holen und um das Mehl abzuladen“, erzählt Lisa. Damit umging Peter Dyk die strenge Reglementierung und konnte zusätzliches Vollkornmehl produzieren. Trotzdem wurde er damals fürchterlich gestraft, gewann schlussendlich aber das gerichtliche Verfahren.

Mühlen für Afrika

Als Jahre später mit dem EU-Beitritt die Reglementierung aufgehoben wurde, konnte das Vollkornmehl in unbegrenzten Mengen in der Dyk-Mühle hergestellt werden, die transportable Mühle hatte damit ihren Zweck verloren. In der Zwischenzeit war sie jedoch in ihrer Entwicklung so weit fortgeschritten, dass es viel zu schade gewesen wäre, sie ungenützt im Schuppen abzustellen.

Lisa, die zu dieser Zeit an der Wirtschaftsuniversität studierte, erinnert sich noch gut daran, wie ihre Familie Mitte der 1990er-Jahre das Potential der transportablen Mühle für strukturschwache Gebiete entdeckte und die erste Mühle im Rahmen eines Hilfsprojekts nach Rumänien überstellt wurde.

Mittlerweile werden in Raabs zahlreiche transportable Mühlen gebaut und in die ganze Welt exportiert, so finden sich die Waldviertler Mühlen der Familie Dyk heute in Ländern wie Nigeria, Sudan, Russland und Rumänien. Gerade in vielen afrikanischen Ländern ist die Nachfrage groß, da es oft an Möglichkeiten fehlt, die eigenen Lebensmittel weiterzuverarbeiten und für längere Zeit haltbar zu machen.

Lisa, die in den letzten Jahren viele dieser Länder bereist hat, ist überzeugt von dem Nutzen der transportablen Mühle: „Dort geht viel von der Ernte verloren, weil die Infrastruktur zur Weiterverarbeitung fehlt – ein Großteil der Ernte verschimmelt oder verdirbt. Die transportable Mühle kann Verschiedenes mahlen, wie zum Beispiel auch Reis. So können Lebensmittel länger haltbar gemacht werden. Außerdem werden Arbeitsplätze geschaffen, die in diesen Regionen dringend benötigt werden.“

Vor Kurzem hat die Familie Dyk sieben transportable Mühlen an den Staat Nigeria verkauft, die dort gemeinsam mit anderen wichtigen Maschinen sogenannte „Wachstumspunkte“ bilden, um die Eigenversorgung zu fördern.

Pioniere seit Generationen

Den Fleiß und Erfindergeist ihrer Vorfahren trägt Lisa weiter. Seit mehr als zehn Jahren leitet sie nun den Betrieb, auch wenn dies eigentlich nie zu ihrem Plan gehörte. „Eigentlich wollte ich einen Beruf, bei dem ich viel reisen kann. Neben dem Studium habe ich gejobbt und war auch am besten Weg zu diesem Ziel.

Als die Mühle im Jahr 2002 von einem schlimmen Hochwasser betroffen war, habe ich mir ein Monat unbezahlten Urlaub von meinem damaligen Job in einer Sprachschule genommen, um zu Hause zu helfen. Ich bin nicht mehr nach Wien zurückgekehrt.“ In diesem Monat wächst Lisa so sehr mit den Mitarbeitern des Betriebs zusammen und entdeckt ihr Interesse am Familienbetrieb, dass sie beschließt, ihre Diplomarbeit von Raabs aus zu schreiben und dort zu bleiben, wo ihre Vorfahren bereits seit 1881 leben.

Als sie wenige Jahre nach dem Hochwasser die Geschäftsführung übernimmt, beweist auch sie großen Mut, wie bereits die Generationen vor ihr: Mit der Übernahme stellt sie den gesamten Betrieb auf Bio um und verliert damit auf einen Schlag all ihre Kunden. Doch wenig später bestätigte auch diese Entscheidung den Pioniergeist der Unternehmerin: Der Bio-Markt boomt seit einigen Jahren ungebrochen und ebnete damit einen weiteren Erfolgsweg des Waldviertler Traditionsunternehmens.

Aus der Wald4tlerin Ausgabe: 01/18
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