Let´s talk about sex

Paula Fichtinger-Schulner fegt mit verschmitztem Lächeln sämtliche Klischees von prüden Waldviertler Frauen vom Tisch und spricht nicht nur ganz offen über die schönste Nebensache der Welt, sondern hat als klinische Sexologin auch jede Menge hilfreicher Tipps für ein lustvolles Leben.

Ihre Lieblingsfarbe ist – wie könnte es anders sein – Rot wie die Liebe. Aber auch Rot, wie die lebendige Vitalität und Fröhlichkeit, die Paula Fichtinger-Schulner versprüht, als wir sie in ihrer Zwettler Praxis in der Florianigasse besuchen.

An Menschen interessiert war die gelernte Zahnarzthelferin, die die ersten zwanzig Jahre ihres Berufslebens als Prothetikerin gearbeitet hatte, eigentlich immer schon. „Schon damals hatte ich immer einen guten Draht zu den Patienten und oft war ich überrascht, welch persönliche Dinge sie mir anvertraut haben“, erinnert sich die sympathische Waldviertlerin zurück.

Als es in ihrem Leben, wie es ja vielen passiert, einen plötzlichen Knick gab, hat die zweifache Mutter beschlossen, sich beruflich zu verändern. Während der Suche nach ihrer Berufung begann Paula ihre Gefühle mit der Malerei auszudrücken. Wunderschöne farbenprächtige Gemälde entstanden da, die schon in Ausstellungen zu bewundern waren und heute auch ihre Praxisräume schmücken.

Ihren Mann Martin hat sie in seinem eingeführten Papier- und Bürowarengeschäft im Zentrum von Zwettl eigentlich schon immer unterstützt. So lag es auch nach ihrem Spurwechsel nahe, voll in den Familienbetrieb einzusteigen. Die hübschen Dekorationsgegenstände und Lederwaren wurden um attraktive, leistbare Damenmode ergänzt und so ein weiteres Standbein geschaffen, das auch der modebewussten Paula Freude machte. Und dennoch … nach einiger Zeit wurde klar, dass etwas in ihr schlummerte, das nicht mit Schreib- und Spielwaren, ja nicht einmal mit Mode zufriedengestellt werden konnte.

SOZIAL ENGAGIERT:

Ehrenamtlich war Paula Fichtinger schon früher im sozialen Bereich aktiv. Um ihrer fürsorglichen Ader jetzt wieder mehr Raum zu geben, ist sie in der Behindertenarbeit bei der Caritas tätig, wo sie auch heute noch für die Betreuung zuständig ist. „Eine Arbeit, die mir sehr am Herzen liegt“, strahlt Paula Fichtinger.

„Es ist schön, wenn ich anderen etwas geben kann und mit der Zeit entwickelt sich eine Art Familie. Da bekommt man so viel zurück von den Menschen!“, freut sich die zweifache Mutter, deren beide Kinder längst flügge geworden sind, über diesen sinn- und wertvollen Bereich in ihrem Leben.

AUF NEUEN WEGEN:

Im Zuge einer ganzen Reihe von Ausbildungen kam Paula Fichtinger aus unterschiedlichen Richtungen immer wieder mit dem Thema Sexualität in Berührung. Und erkannte dabei zunehmend, wie wichtig sie nicht nur für lebendige Partnerschaften, sondern auch für die ganzheitliche Gesundheit ist. Nach ihrer Ausbildung zur Sexualpädagogik hatte sie das Gefühl, dass „mir da einfach noch das eine oder andere Mosaiksteinchen fehlte.“

Die fand sie am Institut für Sexualpädagogik bei Wolfgang Kostenwein und Bettina Weidinger, die das Konzept „Sexocorporel“ lehren. „Bei uns in Österreich ist es eine zertifizierte Ausbildung, in der Schweiz gar Masterstudium“, erklärt Paula Fichtinger den Ansatz, der von Professor Jean-Yves Desjardins in Kanada zum Erlangen von sexueller Gesundheit entwickelt wurde. „Dabei wird der Mensch körperlich und seelisch als untrennbare Einheit betrachtet. Anders als in diversen therapeutischen Ansätzen, in denen sexuelle Probleme meist im mentalen Bereich bearbeitet werden, wird bei Sexocorporel der Körper nicht außer acht gelassen.“

Alle reden über Sexualität aber kaum jemand weiß etwas darüber!

SEI MAL TRAURIG, WENN DU LACHST:

Was das genau bedeutet, erklärt Paula an einem Beispiel: Versuchen Sie doch selbst einmal zu lachen und sich dabei traurig zu denken. Oder umgekehrt, weinen Sie und versuchen dabei aber im Geist fröhlich zu sein. Beides ist nicht möglich und zeigt gleichzeitig, wie stark der Körper mit seinem Ausdruck wirksam ist und der Geist beileibe nicht immer die Überhand hat. „Deshalb kann man auch Erregung verspüren, ohne Lust im Kopf zu haben.“

Im Zuge Ihrer Ausbildungen, aber auch mit zunehmender Praxiserfahrung erkannte Paula, dass viel und oft über Sexualität gesprochen wird, aber die wenigsten wirklich Bescheid wissen über die vielschichtigen Zusammenhänge. „Die Stadt Wien bietet in Schulen kostenlos sexualpädagogische Workshops an. Dabei konnte ich erleben, wie wenig die jungen Menschen über Sexualität wissen. Ihre Informationen beziehen sie mehrheitlich aus unrealistischer Pornografie, wodurch unzählige Missverständnisse und in weiterer Folge natürlich auch Probleme resultieren.“

Diese Art der Aufklärungsarbeit liegt Paula Fichtinger nicht nur sehr am Herzen, sondern ist mittlerweile zu einem erfüllenden Beruf für sie geworden.

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DIE NEUE LUSTLOSIGKEIT:

Bislang war Lustlosigkeit ja ein Thema, bei dem man eher an Frauen dachte. Meist bedingt durch ihre Mehrfachbelastung mit Beruf, Kindern, Familie und Haushalt. Doch das Blatt hat sich mittlerweile gewendet und längst sind es nicht nur Frauen, die den Libidoverlust beklagen. „Immer öfter kommen Männer, die unter Lustlosigkeit und sexuellem Desinteresse leiden. Auslöser ist auch bei ihnen der große Druck im Arbeitsleben, Überforderung und Stress – das Hamsterrad, das sich immer schneller dreht“, weiß Paula Fichtinger aus der Praxis.

Oft sind es da die kleinen, fast unscheinbaren Dinge, die sie hier empfehlen kann. Etwa Übungen für die Atmung sowie spezielle Bewegungsübungen, die sie ihren Klienten verordnet und die so vieles bewirken können. „Ein wesentlicher Punkt des Konzeptes liegt auch im Fokus auf den eigenen Stärken, auf die aufgebaut wird. Dadurch entspannen sich die Klienten viel leichter und können effizient an Lösungsansätzen zur Verbesserung arbeiten.“

Sexualität ist wichtig für Lebendigkeit und Gesundheit!

KEIEN HEMMSCHWELLE ZUM GLÜCK:

Die fröhliche Waldviertlerin, die in ihrer Freizeit gerne mit ihren beiden Hunden in der freien Natur unterwegs ist, trägt ihr Herz schon immer auf der Zunge. „Durch die Ausbildungen bin ich noch offener, toleranter und reflektierter geworden. Ich habe keinerlei Hemmungen über Sexualität zu sprechen, denn für mich ist sie ein schöner und wichtiger Teil in unserem Leben.“ Ihrem natürlichen Umgang mit dem Thema verdankt die Sexologin wohl auch, dass sich ihre Klienten schnell entspannen und ihre Schüchternheit verlieren.

„Ich bewerte generell überhaupt nichts, das trägt sicherlich auch zu dem offenen Verhältnis bei, das sich da in der Beratung sehr schnell entwickelt“, ist Paula überzeugt, wenngleich sie doch froh darüber ist, dass ihre Kunden über die Einfahrt in den Hof in der Florianigasse völlig unbeobachtet in die Praxis gelangen.
„Oft ist es manchen ja schon peinlich, wenn man sie sieht, wenn sie zur psychologischen Beratung gehen. Da ist ein neutraler Zugang gerade in unserer Kleinstadt einfach wichtig,“ lächelt sie verständnisvoll.

Wie so manche hat auch Paula Fichtinger gewagt, umzusatteln und einen völlig neuen Beruf zu erlernen. Heute ist die Zwettlerin erfüllt von jener tiefen Zufriedenheit, die sich ausbreitet, wenn man auf dem richtigen Weg ist. „Und für mich gibt es nichts Schöneres, als meine Klientinnen und Klienten zu mehr Lustgewinn zu begleiten.“Es lohnt sich eben einfach, dem Herzen zu folgen …
Aus der Wald4tlerin Sommer 2016

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