LEBENSRÄUME – LEBENSTRÄUME

zu Gast bei Wilhelm Christian Erasmus im Stockkastl

Mit seinen beinahe 850 Jahren ist das Stockkastl das älteste Gebäude Drosendorfs. In all den Jahrhunderten hatte das Haus schon so einige Bestimmungen, bevor es das HEIM von Wilhelm-Christian Erasmus und seinen Kindern wurde. Denn wo früher Gottesdienste abgehalten wurden, wäscht sich die Familie heute und wo vor mehr als 250 Jahren Häftlinge ihre Strafe absaßen, schlafen die Erasmus nun. Über das Leben in einem Haus, das einst Kirche, Schüttkasten und Gefängnis war.

Was für viele unvorstellbar wäre, war schon immer Lebenstraum von Wilhelm-Christian Erasmus: Wohnen und Leben in einem jahrhundertealten Gebäude. Und nicht nur er scheint sein Ziel erreicht zu haben, auch das alte Haus dürfte mit ihm nach mehr als acht Jahrhunderten seinen idealen Eigentümer gefunden haben.

Denn das älteste Gebäude Drosendorfs benötigt viel Zuneigung – das war Wilhelm-Christian Erasmus von Beginn an klar: „Ich war vom ersten Augenblick an verliebt. Von 265 angesehenen Immobilien stach gerade diese heraus. Es gab zu Beginn eine Steckdose und einen Wasserhahn – genug um einzuziehen. Mit der Zeit habe ich das Haus so behutsam wie möglich verändert.“

Als er das Gebäude im Jahr 1989 kauft, setzt er sich das Ziel, den historischen Zustand bestmöglich zu erhalten, sogar Sünden der Vorbesitzer sollten ausgebessert werden. Er erinnert sich noch gut an seine erste Nacht im ehemaligen Gefängnis: „Ich war damals 26 Jahre alt. Als etwas ängstlicher Mensch stand ich dem Haus mit viel Respekt gegenüber. Die erste Nacht verbrachte ich mit allem Licht, das ich hatte und dem Radiosender Ö3. Danach waren wir friedlich.“ Und so nahm er mit der Zeit ganz sachte einen Raum nach dem anderen in Besitz.

Nach langem Nachdenken, wo was am schonendsten untergebracht werden könnte, wurden Strom- und Wasserleitungen verlegt und das alte Plumpsklo wich einer zeitgemäßen Toilette. Auch moderne Technik wie eine Fernwärmeheizung wurde eingebaut, bleibt für Besucher aber unsichtbar. „Als ich die Heizung eingebaut habe, wurde jeder Stein nummeriert und genauso wieder hingelegt, wie er zuvor gelegen ist.“

Gut zehn Jahre dauerte es, bis alle Notwendigkeiten unauffällig und vorsichtig verbaut waren. „Wenn man mit einem historischen Haus würdevoll umgeht, dann hat man eine lange Zeit vor sich, in der man sich mit dem Haus beschäftigt.“ Wirklich fertig wird man aber wohl nie, meint Wilhelm Erasmus sogar, dass er mit dieser Aufgabe lebenslänglich im alten Gefängnis sitzen wird. Anspielungen wie diese vermeidet er ansonsten aber. Denn für ihn ist das im Jahr 1170 erbaute Gebäude noch weit mehr, als nur ein alter Kerker.
„Man ist schon stolz, das älteste Haus der Stadt zu besitzen. Von der Nutzung her war es ja zuerst eine romanische Kirche, dann ein Schüttkasten, erst danach ein Gefängnis und heute ist es eben ein Wohnhaus. Es handelt sich um eine unglaubliche Nutzung von diesem Gebäude und das fasziniert mich.“

Dass das „Stockkastl“ einst ein Gefängnis war, ist in der Region bekannt. Es liegt im ersten Stock und hat eine enorme Dominanz für das Haus, vor allem weil die Vergitterung der Fenster immer noch zu sehen ist. Dass heute bekannt ist, dass das Gebäude zuvor aber als romanische Kirche genutzt wurde, ist Wilhelm-Christian Erasmus Verdienst.

Nach langen Nachforschungen und der Erkundung enger Zwischendecken, konnte die Existenz der Kirche belegt werden. Wilhelm Erasmus war sich von Beginn an sicher, dass der Bau unter Denkmalschutz stehen müsste. Darum wies er mit einer am Flohmarkt erstandenen Tafel darauf hin. Als der Präsident des Denkmalamts, der zufällig seinen Zweitwohnsitz in Drosendorf hatte, das Schild erblickte, wurde er neugierig. Wilhelm-Christian Erasmus bat ihn herein, gemeinsam krochen sie in die engen Zwischenwände und der damalige Präsident wurde Zeuge der romanischen Fresken. Danach wurde das Haus auch offiziell unter Denkmalschutz gestellt und darf sich seitdem mit einer originalen Tafel schmücken.

Wilhelm-Christian Erasmus liebt sein Haus aber nicht nur aufgrund seiner historischen Vergangenheit. Für ihn ist es durch seine angenehme Stille auch ein Kraftplatz, an dem man gut zu Konzentration findet. Ähnlich sehen das auch die beiden Kinder, Leander und Ernesta. Die beiden pendeln zwischen dem Haus ihrer Mutter und dem Stockkastl hin und her – das Leben im alten Gefängnis mögen sie besonders.

Jedes der Kinder, und auch ihr Vater, bewohnt eine eigene dreieinhalb mal drei Meter kleine Zelle im ersten Stockwerk des Hauses. Die Zellen sind eng und bieten aufgrund der kleinen Fenster auch nur wenig Sonnenlicht, doch ermöglichen sie genug Raum für Rückzug. Und im Sommer schützen die dicken Steinwände angenehm vor der Hitze.

Dass das Leben im Stockkastl etwas Besonderes sein muss, entdeckte der heute 17-jährige Leander bereits ganz früh: So entpuppte er sich schon im Kindesalter als geschäftstüchtig und bot fremden Passanten Führungen an. Dabei durften bemerkenswerte Details und Geschichten zum Haus natürlich nicht fehlen. Besonders spannend ist die Geschichte über die alte Kinderrutsche – ein schöner, schräg gestellter Stein außen am Gebäude, der seit Jahrhunderten als Rutsche verwendet wurde. Die Vorbesitzerin, eine ältere Dame, konnte Kinder nicht recht vertragen und versuchte das Spielen auf der Rutsche zu unterbinden, indem sie schwarzes Pech darauf strich – in der Hoffnung, dass die Kinder hängen bleiben würden. Die Kinder waren aber klug genug und rutschten damals mit alten Lederhosen. Noch heute ist das Pech auf der alten Rutsche zu sehen.

Aber nicht nur das Haus hat viel zu erzählen. Auch zu allen Möbelstücken gibt es eine eigene Geschichte. Diese stammen nämlich allesamt von Antiquitäten- und Flohmärkten, teilweise sogar vom Sperrmüll. Denn das alte Gebäude sollte so ressourcenschonend wie möglich eingerichtet werden, von neuen Möbeln hielt Wilhelm Erasmus wenig. So wurden hier auch ganz bewusst unterschiedliche Stile gemischt. „Auch die Möbelstücke sollen Geschichten erzählen.“

Das Stockkastl — für dessen Namen es zwei Herleitungen gibt (Gefängnis – „einkastln“ und Schüttkasten – Getreide in mehreren Schichten lagern), ist ein ganz besonderer Ort. Noch heute verraten Mulden im Gang vor den Zellen die Wege der Gefangenen und verborgene Fresken erinnern an die romanische Kirche. Was hier schon alles stattfand und wer hier schon aller aus- und einging, ist heute kaum mehr vorstellbar. Dass es sich aber beim Stockkastl um einen ganz besonderen Platz handelt, das spürt man.

von Rhea Temper aus der Herbstausgabe 2015

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